Auch wenn es auf den ersten Blick für mich nicht so aussieht, so war das Jahr 2024 doch ziemlich grandios. Mehrere Wanderurlaube, z.B. in Österreich, in der Sächsischen Schweiz oder im Thüringer Wald brachten mich der Natur sehr nahe. Der traditionelle Wanderurlaub mit Johnny war in diesem Jahr viel mehr als das - es waren sehr intensive Tage zwischen Albernheit und Melancholie. Schiller verzauberte mich mit seinen Soundkreationen in drei ganz unterschiedlichen Konzerten in Frankfurt, Stuttgart und auf der Festung Königstein.
Neben diesen vielen Erlebnissen gab es aber ein überragendes Ereignis, welches sich erst Schritt für Schritt in diesem Jahr quasi aufbaute: ein überwältigendes Konzert von Mylène Farmer in Paris. Diese französische Künstlerin war mir vor 10 Monaten noch völlig unbekannt, bis ich sie ganz zufällig entdeckte, um mich von ihren Liedern durch das Jahr 2024 tragen zu lassen.
Wie kam es zu der Begegnung? Es klingt verrückt - aber ich muss mich an dieser Stelle bei YouTube bedanken. Eines Tages sah ich als Vorschlag das Lied "Désenchantée" als Ausschnitt eines Konzertes von 2009 im Pariser Stade de France von einer gewissen Mylène Farmer. Ich dachte mir, bei über fünf Millionen Aufrufen kann es nicht schlecht sein. Es wird wohl eine weitere Coverversion des Stückes sein, welches ich schon von Kate Ryan kannte. Dann hat mich dieser kleine Konzertausschnitt geflasht: was für ein Sound, was für eine Bühnenshow, was für eine riesige Menge an feiernden Fans und was für eine mich berührende Mylène! Ich hab dann gleich bei Wikipedia gesucht und war ganz erschrocken, dass dieses uns allen bekannte Lied aus den 2000er Jahren ursprünglich von ihr stammt! Ich schaute mir dann wahllos noch einige andere Konzertausschnitte von ihr an und konnte mich immer mehr begeistern. Aber vor allem bei "Désenchantée" im Stade de France fragte ich mich, ob ich in meinem Leben wohl doch etwas verpasst habe, was ich nicht mehr nachholen kann.
Die ersten Veröffentlichungen von Mylène reichen bis Mitte der 80er Jahre zurück. Immer weiter machte ich mich mit ihren Liedern vertraut, was zunächst schwer fiel, da ich mit französischer Musik bisher nicht viel anfangen konnte - abgesehen von Jean Michel Jarre, bei dem aber nicht gesungen wird. Aber bald war es einfach nur eine Freude, ein für mich neues, noch nicht gehörtes Album von ihr zu entdecken. Auch kaufte ich mir alle bisher erschienenen Konzertfilme. Die machen erst deutlich, was die Künstlerin bei ihren Fans auslöst. Mal grenzenlose Hingabe und lautes Mitsingen, aber auch Nachdenklichkeit und viele Tränen bei den ruhigen Stücken, die ich mittlerweile genau so sehr liebe wie ihre "Kracher". Auch am Ende eines jeden Konzertes, wenn Mylène die Bühne jedesmal auf eine andere geheimnisvolle Art verlässt, sieht man fassungslose und heulende Menschen in großer Dankbarkeit, aber nicht in Hysterie.
Ich stellte mir die Frage, ob ich dieses Konzertfeeling einmal selbst erleben will und beantwortete dies letztlich nach einiger Zeit mit einem klaren Ja. Aber gut, wann gibt schon eine so große Künstlerin wieder ein Konzert; Auftritte von ihr sind eher selten. Ich recherchierte ein wenig und traute meinen Augen nicht, denn für September waren drei Konzerte in Paris angesetzt. Eigentlich sollten die im letzten Jahr stattfinden, doch diese wurden eine halbe Stunde vor Beginn des ersten Konzertes abgesagt; damals gab es in Paris ziemlich böse Unruhen und Ausschreitungen. Für mich war es aber Glück. Auf der Website der Tour gab es zunächst keine Tickets mehr, aber ich erfuhr, dass immer mal wieder welche verkauft werden, da einige Tickets wieder zurückgeben werden. Drei Wochen lang schaute ich mehrmals täglich auf die Website bis ich laut "Juhu!" rief. Ich erstand ein Ticket für den 28. September im Stade de France im Bereich "Front of Stage", also mittendrin und vor der Bühne, so wie ich mir das gewünscht hatte. Hotelzimmer und Zugticket (2,5 Stunden bis Paris) waren dann kein Problem.
Ich war noch nie in meinem Leben in Paris und war doch etwas aufgeregt, allein in diese Stadt zu fahren. Den Weg vom Ostbahnhof zum Hotel wollte ich laufen und dabei noch ein paar Sehenswürdigkeiten mitnehmen. So kam ich am weltberühmten Montmartre vorbei und genoss die Aussicht auf Paris. Auf meinem Weg ins Hotel sah ich viel vom Pariser Leben: Eleganz, Gelassenheit, aber auch Elend und Armut.
Nach kurzem Ausruhen im Hotel ging ich dann endlich Richtung Stadion. Man muss vielleicht noch wissen, dass es sich beim Stade de France um das größte Stadion Frankreichs handelt und bei Konzerten bis zu 85.000 Menschen reinpassen. Bereits 500 Meter vor dem Stadion waren alle Zufahrtsstraßen durch die Polizei abgesperrt. Man sorgt für Sicherheit. Je näher ich dem Stadion kam, umso mehr Menschen strömten in die selbe Richtung. Cafés und Bars auf dem Weg dorthin sorgten für teure Snacks und musikalische Einstimmung mit Songs von Mylène. Das Konzert war ein stadtweites Großereignis, ich war beeindruckt. Vor dem Stadion viele Menschen, doch ich kaufte mir erst einmal ein belegtes Baguette und etwas zum Trinken für insgesamt 14 Euro. Das Baguette sah aus wie vom Blitz getroffen und schmeckte auch so. Also nun rein ins Stadion. Aber erstmal den richtigen Eingang finden ...
Nach zwei Sicherheitskontrollen (ich wurde gefragt, ob ich ein Waffe bei mir führe) stand ich auf mittlerer Höhe und blickte in den gigantischen Innenraum. Das musste ich erst einmal kurz verarbeiten. Die Bühne war als riesiges Kreuz aufgebaut und am Ende stand ein großer Rabe - das Symbol der "Nevermore"-Tour. Der Innenbereich war bereits halb gefüllt und ich suchte mir da auch schnell einen Platz, denn in dem Bereich gibt es nur Stehplätze, im Gegensatz zu den Tribünen, von denen man aber aufgrund der gigantischen Ausmaße des Stadions nicht so viel vom Bühnengeschehen sieht. Alle warteten und freuten sich; einige Fans auf den Tribünenplätzen initiierten eine Laolawelle und nach kurzen Anlaufschwierigkeiten ging diese dann mehrmals durch das ganze Stadion.
Es wurde spannender. Mit einmal fiel der große Rabe in sich zusammen (in ihm war nur Luft). Auf der riesigen LED-Leinwand war ein Musikvideo aus der frühen Schaffenszeit von Mylène zu sehen. Dann wurde es mit "C'est dans l'air", einem meiner Lieblingsstücke, lauter und poppiger. Meine Vorfreude war unbeschreiblich. Dann folgte zweimal das ewig lange Stück "Svefn-g-englar "von Sigur Rós, was ich ziemlich nervig fand.
Mit guter Verspätung ging das Konzert dann um 21:07 Uhr los. Auf der Leinwand flogen tausende Raben, die sich zu einem Schwarm formierten und immer näher kamen. Sie nahmen die Form von zwei Flügeln an; nach diesem Prolog wurde es sehr laut und beatlastig mit "Du Temps" und direkt in der Mitte der Rabenflügel fuhr Mylène aus der Bühne hoch. Die Fans tobten und waren happy und ich war es auch. Erstaunlicherweise war der Sound hervorragend, obwohl es praktisch open air war und eine riesige Fläche bespielt werden musste. Aber man sah, dass nicht nur beim Sound echte Profis am Werk waren. Die Bühne veränderte sich bei jedem Lied; hier wurde viel Technik aufgefahren. Von den Musikern sah ich leider nicht viel und auch die Tänzer konnte ich oft nur erahnen. Egal - ich war bei Myléne! Und als ob das alles nicht schon genug war, kam als Überraschungsgast und Duettpartner für "Les mots" Seal auf die Bühne.
Für mich war das Konzert während des Erlebens nicht so richtig fassbar. Sehr ergreifend war der Moment, als das ganze Stadion den Refrain zu "Désenchantée" gesungen hat - ohne Mylène und ohne Musiker.
Und ich konnte es noch immer nicht wahrhaben, dass ich im Stade de France mitten unter den feiernden Fans stehe und mit ihnen singe. Das war alles sehr ergreifend. Gefühlt gingen die zwei Stunden im Fluge vorbei. Mylène verlies in einem nach oben steigenden Käfig spektakulär die Bühne und löste sich wieder in tausende Raben auf - so wie sie erschienen ist.
Ich ging völlig durchgefroren aber glücklich Richtung Hotel. Auf dem Weg dahin wurde der Menschenstrom vor einer Unterführung von der Polizei angehalten, damit es da nicht zu eng wird. Während des Wartens sangen wir "Tout est chaos ... a côté ... o us mes idéaux des mots ... Abimés ...", was die Polizisten sehr freute.
Am nächsten Tag fuhr ich mit dem Zug wieder nach Hause, im Ohr das Livealbum der Tournee, welches kurz vorher veröffentlicht wurde (der Mitschnitt erfolgte im letzen Jahr). Ich träumte weg und sah mich wieder auf dem Konzert ...
Im Myléne-Forum las ich in den Tagen danach, dass das Konzert mit über 80.000 Zuschauern ausverkauft war, darunter auch einige prominente Gäste waren, wie z.B. der Modeschöpfer Jean Paul Gautier und die US-Schauspielerin Jodie Foster.
Ziemlich genau zwei Monate nach dem Konzert erschien der Konzertfilm auf Blu-ray, den ich Mitte November mit Marco schon in einem Kino in Strasbourg gesehen habe. Die Blu-ray wurde mir pünktlich von Fnac France geliefert. Und Dank meiner neuen Heimkino-Ausstattung mit 8K OLED-TV und Denon Surround-Anlage kann ich nun jederzeit noch tiefer als vorher in die Welt von Myléne eintauchen.
Verrückt: Ein zufällig entdecktes Konzertschnipsel aus dem Jahr 2009 vom Stade de France hat in mir die Begeisterung für Myléne Farmer erweckt. 2024 stand ich selbst im Stade de France und durfte sie bei einem ihrer größten Konzerte live erleben. Für mich war das was ganz Großes.
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